Die frühen Methoden

Der Mathematiker und Seemann Jean-Charles de Borda bei der Vermessung des Vulkangipfels auf Teneriffa.

Frühe oder alte Methoden sind all jene, die vor der Entdeckung von Sumner im Jahr 1837 entstanden sind, also auch die getrennte Bestimmung von Breitengrad und Längengrad, die insbesondere nach der Erfindung des Schiffschronometers populär wurde. Das änderte sich, mit der Sumner Methode. Insbesondere die Franzosen sprachen danach von einer neuen Astronomie. Heute sieht man in dem Aufkommen der grafischen Methode von Sumner und dem 30 Jahre später publizierten ebenfalls grafischen Höhenverfahren von Hilaire den Beginn einer Ära der modernen Astronavigation. Doch schon lange vorher gab es analytische Ansätze, das Zweihöhenproblem zu lösen. Der wohl interessanteste soll nachfolgend beschrieben werden.

Borda 1771

Um das Zweihöhenproblem zu lösen hatte die Französische Akademie im Jahre 1727 dafür einen Preis ausgeschrieben, an dem sich unter anderen auch Daniel Bernoulli beteiligte. Bernoulli ist insbesondere aufgrund seiner bahnbrechenden Forschungsergebnisse in der Strömungslehre bekannt geworden. Dazu müsste es nötig sein, dachten viele, die Breite jederzeit aus dem Stand der Sonne bestimmen zu können und nicht nur am Schiffsmittag.  Der Niederländer Cornelis Douwes hatte das um 1750 zu einer seiner Lebensaufgaben gemacht. Man wusste, dass die Höhe der Sonne und die Zeit mit der Breite zusammenhängen müssen. Im Sommer beschreibt die Sonne in der gleichen Zeit einen viel größeren Bogen als im Winter, was auf ihrer Deklination beruht. Doch auch dann, wenn man sich im Winter südlichen Breiten nähert, wird der tägliche Bogen der Sonne höher. Der Breitengrad, auf dem man sich gerade befindet muss also bestimmbar sein, wenn man die Deklination der Sonne kennt und ihre genaue Höhe messen kann.

Das Nautische Dreieck, wie es Bild 1 zeigt, hilft hier weiter. Will man einen Polwinkel bzw. Stundenwinkel \tau berechnen, dann braucht man dazu die Höhe der Sonne und ihre Deklination. Außerdem braucht man die Standortbreite und die wäre jetzt zu schätzen. Im Ergebnis einer Kopplung ab der letzten Mittagsbreite oder Nordsternbreite aus Fahrzeit, Geschwindigkeit und angenommener Meeresströmung war die aktuelle Breite immer einigermaßen bekannt. Es ist allerdings nur eine Schätzung.
Den Stundenwinkel bekommt man nach Beobachtung der Sonne zum Zeitpunkt t1 durch Feststellung ihrer Höhe h1. Unter Verwendung von \delta1 aus dem Almanach und der geschätzten Breite \varphi1 liefert der Kosinus Seitensatz dann das Ergebnis. Mit der genauen, anstelle der geschätzten Breite, wäre das der Längengradunterschied zwischen Schiff und dem Zenitalpunkt bzw. Bildpunkt der Sonne für eine erste Beobachtung:

(1)   \begin{equation*}\tau_1=\cos^{-1}\frac{\sin h_1-\sin \delta_1\cdot\sin \varphi_1}{\cos \delta_1\cdot\cos \varphi_1}\end{equation*}

Wir nehmen zunächst mal an, dass Flaute herrscht und das Schiff seinen Standort nicht verändert. Nachdem die Sonne einige Zeit später einen anderen Stand hat, wird ihre Höhe zum Zeitpunkt t2 ein zweites Mal gemessen und ein zweiter Stundenwinkel berechnet:

(2)   \begin{equation*}\tau_2=\cos^{-1}\frac{\sin h_2-\sin \delta_2\cdot\sin \varphi_1}{\cos \delta_2\cdot\cos \varphi_1}\end{equation*}

Jetzt addieren wir beide Stundenwinkel und teilen die erhaltene Summe durch 15°/h. Letzterer Wert ist die Geschwindigkeit der Sonne, mit der sie die 360° des Erdumfangs in 24 Stunden umrundet.

    \begin{equation*}\Theta=\frac{\tau_1+\tau_2}{15^\circ/h}\end{equation}

Das Ergebnis bezeichnen wir mit Θ. Das ist eine für die Sonne errechnete Zeit in Stunden, in der sie die Längengrad-Differenz zwischen den Bildpunkten X1 und X2 zurücklegt.

Bild 1: Diejenige Breite ist die Standortbreite \varphi, bei der die Summe der Stundenwinkel \tau_1 und \tau_2 geteilt durch 15°/h genauso groß ist wie \Delta t.

Diese errechnete Zeit sollte jetzt genau mit der Zeitspanne übereinstimmen, die mit der Schiffsuhr als Differenz \Deltat zwischen den Beobachtungszeiten t1 und t2 festgestellt wurde. Eine Übereinstimmung ergab sich allerdings nur in wenigen Fällen und nur dann, wenn immer nur nach Osten oder Westen gesegelt wurde. Da an der Zeitmessung mit der Schiffsuhr kein Zweifel bestehen konnte, muss die errechnete Zeit falsch sein und die kann wiederum nur falsch sein, wenn die Breite falsch geschätzt worden war. Daraus ergab sich dann die Aufgabe, dieselbe Rechnung mit veränderten Breiten so oft zu wiederholen, bis eine Schätzbreite gefunden war, bei der das Ergebnis von Θ zufriedenstellend genau mit der zwischen den Beobachtungen verflossenen Zeit \Deltat übereinstimmte. Das war dann auch die aktuelle Standortbreite.

Die Stundenwinkel aus zwei Beobachtungen können allerdings nicht immer addiert werden. Je nachdem, ob beide Beobachtungen am Vormittag oder beide am Nachmittag oder die erste vormittags und die zweite nachmittags erfolgen, ergeben sich unterschiedliche Weisen der Zusammenfassung. Diese muss in wie nachstehend dargestellt geschehen:

  • X1 vormittags, X2 vormittags:       \tau_1-\tau_2
  • X1 vormittags, X2 nachmittags:     \tau_1+\tau_2
  • X1 nachmittags, X2 nachmittags:   \tau_2-\tau_1

Die drei Varianten werden mit der nachstehenden Formel berücksichtigt. Außerdem wurde nicht Θ, sondern Θ1 geschrieben. Weiter unten wird gezeigt, dass eine zweite Berechnung mit einer zweiten Schätzbreite und der Anwendung eines Dreisatzes ein sofortiges Ergebnis bringen kann.

(3)   \begin{equation*}\Theta_1=\frac{\lvert\tau_1\pm\tau_2\rvert}{15^\circ/h}\end{equation*}

Für die Zeitmessungen brauchte man keinen Chronometer, da nur immer kurze Zeitspannen gemessen werden mussten. Eine normale Schiffsuhr mit Sekundenanzeige reichte dafür schon aus und darüber verfügte man im Jahre 1772 bereits. Die genauen Koordinaten der Sonne zu kennen, war nicht nötig. Die Kenntnis der Deklination genügte und die gab es als Jahrestabellen bereits mit ausreichender Genauigkeit.

Es war das Jahr 1772, als der Chevalier de Borda (S. 340), während seiner Reise auf der Flora, einem Forschungsschiff der französisch-königlichen Marineakademie auf diese Art der Breitenbestimmung kam. Da es keine Rechenmaschinen gab, musste er in mühevoller Arbeit einunddieselbe Berechnung mit einer anderen Breite so oft wiederholen, bis die richtige Breite gefunden war. Aus den Zwischenergebnissen war zu erkennen, ob die Schätzbreite zu vergrößern oder zu verkleinern war.

Zur damaligen Zeit war das ein riesiger Rechenaufwand der die Fähigkeiten der Seeleute weit überstieg. Heute wären wir damit schnell fertig. Ein Computer müsste nur die Breite \varphi für die folgende Bedingung berechnen, wobei \Deltat als sekundengenaue Zeit zu betrachten ist:

(4)   \begin{equation*}\boxed{\varphi=\varphi \lbrace \Theta=\Delta t\rbrace}\end{equation*}

Diese Formel sagt in Worten:

Diejenige Breite ist die wahre Standortbreite, wenn der in Zeit ausgedrückte berechnete Stundenwinkel zwischen zwei Sonnenständen genauso groß ist, wie die zwischen den Beobachtungen verstrichene Zeit.

Die Berechnung kann mit einem Computer in einer Iterationsschleife ablaufen, ohne dass vorher eine Breite geschätzt werden muss. Man beginnt mit der Breite \varphi=\delta oder ein Grad darunter und berechnet \frac{\Theta}{15}-\Delta t. Daraufhin wird dieselbe Rechnung nach Erhöhung der Breite um jeweils 1° so oft wiederholt, bis das Ergebnis ein anderes Vorzeichen bekommt. Damit wird das 1°-Intervall gefunden, in dem die richtige Breite liegt. Dieses Intervall wird jetzt in derselben Weise durchsucht. Doch die Breite wird diesmal nach jedem Schleifendurchlauf nur um ein Bogenminute verändert. Sobald auch hier ein Vorzeichenwechsel erfolgt, könnte das gefundene Minutenintervall sogar noch in Schritten von Breitensekunden abgesucht werden. Bei einem Vorzeichenwechsel steht mit der gerade verwendeten Breite die Standortbreite fest. Der Stundenwinkel \tau_1 wird ebenfalls abgespeichert, weil dieser mit dem Grt addiert oder davon subtrahiert, die Standortlänge als Chronometerlänge liefert.

Die Aufgabe ist sogar mit EXCEL leicht lösbar. Man muss dazu wenigstens drei Tabellen mit z. B. jeweils 30 Zeilen anlegen. Die erste Tabelle löst in Schritten von je 2 Grad auf und die weiteren in 2’ und 2’’. Die daraus gefundene Breite sollte dann auf wenige hundert Meter genau stimmen. Voraussetzung ist natürlich eine genaue Kenntnis der Deklination. Diese wird im Nautischen Jahrbuch auf 0,1′ genau genau angegeben und das sind 0,1 nm oder 185,2 Meter. Es gibt keine simplere Methode als diese, um einen Standort auf See zu berechnen.

Eine Versegelung kann nach dem Verfahren von Douwes ebenfalls recht einfach gelöst werden, indem die Höhe aus der ersten Beobachtung an den Standort der zweiten Beobachtung angepasst wird. Ein versegelter Standort wird nicht mit h1 gefunden, sondern mit h1V, dazu ist allerdings das Azimut erforderlich:

(5)   \begin{equation*}h_{1V}=h_1+d\cdot\cos (Az_1-c)\end{equation*}

Hierin sind d die versegelte Distance mad good und c der versegelte Course made good, also die resultierenden Werte einer Fahrt über Grund, die durch Koppelnavigation ermittelt werden müssen. Das Azimut sollte berechnet und nicht geschätzt werden, was aber für einen Rechner kein Problem ist. Die Formel dafür lautet:

(6)   \begin{equation*}Az^*=\arccos\frac{\sin \delta_1-\sin \varphi_{uv}\cdot \sin h_1}{\cos \varphi_{uv}\cdot \cos h_1}\end{equation*}

Das Azimut hat den mit dieser Formel berechneten Wert, wenn die Höhe vormittags gemessen wurde. Bei einer nachmittags gemessenen Höhe muss das Rechenergebnis erst von 360° abgezogen werden. Das Rechenprogramm lässt man zweimal durchlaufen, das erste Mal mit der Höhe h1, um damit eine unversegelte Breite \varphiuv zu berechnen, mit der das Azimut bestimmt wird und dann gleich nochmal mit der angepassten Höhe h1V, um die Standortbreite nach der Versegelung zu erhalten.

Diese Höhenanpassung von Douwes geht etwa auf das Jahr 1750 zurück, ist also noch 20 Jahre älter als die Methode von Borda. Natürlich konnte damals unmöglich mit dieser Methode gearbeitet werden. Der Rechenaufwand wäre nicht zu bewältigen gewesen. Da wir heute über Quarzuhren verfügen, kann jetzt auch ganz leicht die Länge berechnet werden. Dazu muss man nur den im letzten Rechendurchgang mit der Gl. 4 festgestellten Stundenwinkel festhalten, weil nur dieser mit der richtigen Standortbreite berechnet wurde. Der Arcus Kosinus des Bruches mit der Höhe der ersten Beobachtung liefert den Stundenwinkel \tau_1, der mit dem Greenwicher Stundenwinkel Grt1 addiert oder von diesem subtrahiert ein Längenmaß liefert:

(7)   \begin{equation*}\boxed{\lambda^\ast=Grt_1\pm \tau_1\lbrace\varphi\rbrace}\end{equation*}

Aus dem erhaltenen Ergebnis müssen in einem ersten Schritt eventuelle Überträge entfernt werden. Das geht folgendermaßen: Ist das Ergebnis negativ, dann müssen 360° addiert werden. Ist es größer als 360°, dann müssen 360° subtrahiert werden. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob ein Winkel zwischen 0° und 180° vorliegt. Ist das der Fall, dann liegen Westgrade vor. Liegt der Winkel zwischen 180° und 360°, dann ist dieser Winkel von 360° zu subtrahieren und das Ergebnis sind Ostgrade. Das mag sich vielleicht kompliziert anhören, ist aber nach einigem Nachdenken ganz einfach zu verstehen und auch in EXCEL mit der WENN-Funktion leicht zu lösen.

Obwohl das die am leichtesten zu verstehende Methode ist – mit Logarithmen ist damit ein Standort nur mit allergrößtem Aufwand zu finden. Ein Rechner schafft das hingegen in Millisekunden.

Die Methode von Borda gehört zu den sogenannte alten Methoden, die von der sogenannten neuen Astronomie mit den Methoden von Sumner und Hilaire verdrängt worden ist. Heute ist sie völlig vergessen und das ist sehr schade. Borda wollte das Zweihöhenproblem auf analytischem Wege, das heißt ausschließlich durch Berechnungen lösen. Damals konnte das nicht optimal gelingen, weil eine Lösung nur auf numerischem Wege erreicht werden kann. Die Menschen hatten zwar eine beeindruckende Vorstellungskraft, doch es fehlten die Werkzeuge wie genau gehende Uhren und Computer. Heute verfügen wir über Computer und damit ist eine Standortberechnung nach Borda überhaupt kein Problem mehr. Das Tolle an der Methode ist ihre Eingängigkeit, wodurch sie problemlos von jedem erfasst werden kann. Außerdem muss kein Standort geschätzt werden und die erreichbare Präzision besser als die des Höhenverfahrens von Hilaire.

 

Lalande 1793

Im Jahre 1793 veröffentlichte der französische Astronom Jerome Lalande (S. 68), eine Arbeit, in der er eine Linearität zwischen den zu schätzenden Breiten und den abgelaufenen Zeiten zwischen den Beobachtungen voraussetzte. Lalande war Professor und Mitglied an mehreren wissenschaftlichen Akademien, so in Paris, London und Petersburg und bekleidete darüber hinaus noch zahlreiche weitere Ämter. Seine Ansichten zur Navigationsidee von Borda hatten also Gewicht und wurden auch später noch von anderen Autoren erwähnt und versucht anzuwenden. Er schrieb sinngemäß:

„Diejenige Breite muss die richtige sein, mit welcher die beiden, aus den Höhen berechneten Stundenwinkel einen Unterschied ergeben, der ebenso groß ist, wie die beobachtete verflossene Zeit. Wenn man daher mit zwei angenommenen Näherungswerten für die Breite die Stundenwinkel berechnet und so ihre Unterschiede kennt, dann lässt sich daraus über einen Dreisatz die wahre Breite finden.“

Der erste Satz beschreibt das von Borda angewendete Prinzip. Der zweite Satz besagt, dass die Stundenwinkel nur ein zweites Mal und zwar mit einer anderen geschätzten Breite berechnet werden müssten. Dabei sind dieselben Höhen und dieselben Deklinationen zu benutzen. Verwendet wird nur eine zweite Schätzbreite. Wir erhalten:

(8)   \begin{equation*}\tau'_1=\cos^{-1}\frac{\sin h_1-\sin \delta_1\cdot\sin \varphi_2}{\cos \delta_1\cdot\cos \varphi_2}\end{equation*}

und

(9)   \begin{equation*}\tau'_2=\cos^{-1}\frac{\sin h_2-\sin \delta_2\cdot\sin \varphi_2}{\cos \delta_2\cdot\cos \varphi_2}\end{equation*}

Die Stundenwinkel werden in der Weise wie oben beschrieben zusammengefasst und bekommen das Formelzeichen Θ2.

(10)   \begin{equation*}\Theta_2=\frac{\lvert\tau'_1\pm\tau'_2\rvert}{15^\circ/h}\end{equation*}

Jetzt verfügen wir über drei Zeitdifferenzen:

  • die gemessene Differenzzeit \Delta t = t2 – t1 zwischen den Beobachtungen
  • die Summe Θ1, die auf der Grundlage der Breite \varphi1 berechnet wurde
  • die Summe Θ2, die auf der Grundlage der Breite \varphi2 berechnet wurde

Daraus soll jetzt ein Dreisatz aufgestellt werden, der einen Wert zur Breitenkorrektur liefert. Dazu betrachten wir Bild 2. Es zeigt, dass sich ein Dreieck mit denselben Seitenlängen h1 und h2 immer mehr spreizt, je kleiner die zur Berechnung der Stundenwinkel angesetzte Breite ist. Das Dreieck, welches mit der größeren Breite \varphi1 berechnet wurde, hat eine Basis von Θ1 und das Dreieck, welches mit der kleineren Breite \varphi2 berechnet wurde, hat eine Basis von Θ2.

Bild 2: Zur Erklärung der Idee von Lalande

Es existiert also ein direkter Zusammenhang zwischen einer Änderung der Breite und den in Zeit ausgedrückten Differenzen der Stundenwinkel. Wir wissen allerdings nicht, ob dieser Zusammenhang linear ist. Linear würde bedeuten, dass das Verhältnis (\Theta_2-\Theta_1)/(\varphi_1-\varphi_2) konstant ist. Dann müsste eine nur halb so große Änderung der Stundenwinkeldifferenz auch genau aus einer halb so großen Differenz der Breiten folgen. Um es gleich vorweg zu sagen, eine Linearität ist nicht gegeben.

Doch Lalande setzte eine solche voraus, wohl auch in dem Wissen, dass sie gar nicht vorhanden ist. Die Genauigkeitsanforderungen schienen ihm nicht ganz so wichtig. Wichtiger war wohl, dass überhaupt eine einigermaßen richtige Breite gefunden werden konnte. So hat er einfach postuliert, dass das Verhältnis der in Zeit ausgedrückten Differenz der Stundenwinkel (\Theta_2-\Theta_1) zur Differenz der beiden geschätzten Breiten \Delta\varphi=(\varphi_1-\varphi_2) genauso groß sein müsste, wie die Differenz der Zeit zwischen den Beobachtungen \Deltat und einer daraus zu erhaltenden Breitenänderung:

(11)   \begin{equation*}\frac{\Theta_2-\Theta_1}{\Delta\varphi}=\frac{\Delta t-\Theta_1}{\varphi_x}\end{equation*}

Anders ausgedrückt, wenn man anstelle von Θ2 die wahre verflossene Zeit zwischen den Beobachtungen einsetzt, dann ändert sich die Standortbreite gegenüber \varphi1 um einen Betrag von\varphix. Man muss also nur diesen Korrekturbetrag von \varphi1 subtrahieren um die wahre Standortbreite zu erhalten. Wenn wir das machen, erhalten wir schließlich das endgültige Ergebnis:

(12)   \begin{equation*}\boxed{\varphi=\varphi_1-\Delta \varphi\; \frac{\Delta t-\Theta_1}{\Theta_2-\Theta_1}}\end{equation*}

Darin ist die Breitenkorrektur, also das Dreisatzergebnis \varphix, der Subtrahend in dieser Gleichung. Lalande führt dazu aus:

“Diese Methode würde mehr bewirken einfacher und kürzer sein als strenge Methoden. Es gibt auch spezielle Tabellen für dieses Problem.”

Mit strengen Methoden wurden die Borda-Berechnungen gemeint. Diese Methode ist nicht anderes als eine einfache lineare Interpolatiion und dazu gedacht, die vielen Berechnungen von Borda zu vermeiden, damit eine Lösung schneller gefunden wird. Heutigen Anforderungen wird diese Lösung nicht gerecht. Sie ist zu ungenau, weil der in der Gl. 11 links vom Gleichheitszeichen stehende Quotient nicht konstant ist. Die Differenz der in Zeit ausgedrückten Stundenwinkel ändert sich, wie das Diagramm im Bild 3 mit seiner schwarzen Linie zeigt, in einem leichten Bogen. Die Kurve wird dadurch berechnet, dass \varphi1 konstant bleibt und \varphi2 von null bis \Delta\varphi variiert wird. Sie wurde hier aus vielen mit einem Computer ausgerechneten Punkten gebildet.

Bild 3: Wirkungsweise der Breitenbestimmung nach Lalande auf einer Breite von 40° N und einer Differenz der Schätzbreiten von 2°.

Die grüne Linie ist eine Waagerechte, weil sie die Differenz zwischen der wahren verflossenen Zeit zwischen den Beobachtungen und dem in Zeit ausgedrückten Stundenwinkel \Theta1 ist. Dieser Stundenwinkel ist konstant, da er sich im Diagramm auf die konstante Ausgangsbreite \varphi1 bezieht. Der Korrekturwert zum Erhalt der wahren Breite wäre damit aus dem Schnittpunkt der schwarzen Kurve mit der grünen Waagerechten abzuleiten. Der tatsächliche Korrekturwert wird allerdings aufgrund der angenommenen Proportionalität als Schnittpunkt mit der gestrichelten Linie berechnet. Durch nur zwei Schätzbreiten gibt es nur einen Anfangs- und einen Endwert, die mit einer gedachten Geraden verbunden sind. So kann auch nur die Kreuzung der grünen Linie mit der gestrichelten Linie den Korrekturwert abgeben.

Die Fehler sind aus diesem Grund auch recht hoch und betragen in diesem Beispiel bis zu 8,5 nm. Der Fehler ist am größten, wenn die Standortbreite ungefähr genau in der Mitte der geschätzten Breiten liegt. Je kleiner die Differenz der geschätzten Breiten ist und je dichter die wahre Standortbreite an einer der Schätzbreiten liegt, desto genauer ist das Ergebnis. Bei Schätzbreiten, die nur 0,5° auseinanderliegen, sind die Abweichungen meist kleiner als 0,5 nm. Es kam also auch hier auf eine genaue Schätzung der Breiten an.

Das Verfahren arbeitet analytisch ist aber von vielen Unwägbarkeiten umgeben, so dass es für eine Verwendung in einem Computerprogramm nicht zu empfehlen ist. Das Beispiel im Bild 3 orientiert sich an einer Standortbreite von etwa 40° N und einer Deklination von mehr als 20° N. Aus der Breite könnte jetzt auch die Länge berechnet werden, wenn der Greenwicher Stundenwinkel bekannt ist. Das geht auch hier mit der Gl. 7. Auch Versegelungen sollen hier nicht weiter besprochen werden, weil sie ebenso zu behandeln wären, wie vorstehend bei der Borda Methode schon beschrieben wurde.

Trotzdem ist diese Methode erwähnenswert, weil sie in der alten Literatur mehrfach mit angebrachten Verbesserungen auftaucht. Sie wurde sogar als analytische Variante der 50 Jahre später von Kapitän Sumner gefundenen grafischen Methode bezeichnet, was jedoch falsch ist. Sicher ist, dass Sumner diese Methode nicht kannte, denn zu seiner Methode haben ganz andere Umstände geführt. Auch die Versegelung hat Sumner grafisch gelöst. Bemerkenswert ist jedoch, dass nicht nur der Rechenaufwand derselbe ist, sondern es werden auch exakt dieselben Formeln verwendet. Das allerdings zu ganz anderen Zwecken und in anderer Reihenfolge. Von einer analytischen Variante der Sumner Methode kann deshalb überhaupt keine Rede sein.

 

Borda Navigation

Eine Excel Datei, die nach dem hier Beschriebenen funktioniert, steht unter dem Namen borda-navigation 2.0 zum Download zur Verfügung. Mit dieser etwa 200 kB großen Datei kann selbstverständlich auch praktisch navigiert werden, indem man sie auf sein Tablet oder Smartphone lädt. Darauf muss natürlich die EXCEL App installiert sein. Einschränkend gilt bei dieser Datei, dass sich beide Beobachtungen auf maximal zwei aufeinanderfolgende Tagesdaten erstrecken dürfen. Wenn die erste Beobachtung am ersten Tag um 23:00 Uhr war dann kann die zweite Beobachtung am Folgetag, beispielsweise um 3:00 erfolgen.  

Im oberen blau umrandeten Block müssen einige Einstellungen gemacht werden. Das sind die Indexberichtigungen des verwendeten Sextanten, Augeshöhe und ob man die Sonne am Unterrand oder am Oberrand beobacht hat. Die Indexberichtigung ist der negative Wert eines festgestellten Indexfehlers. Dieser sollte bei Verwendung von Plastiksextanten nach jeder Beobachtung neu ermittelt und eingegeben werden, weil Plastiksextanten sehr temperaturabhängig sind. Unter Standortwahl ist N oder S einzugeben. Damit wird angegeben, ob man sich nördlich oder südlich der Deklinationbreite befindet.

Unter Messung 1 und 2 sind die Beobachtungsdaten einzutragen, also nur Datum, Uhrzeit und der auf dem Sextanten abgelesene Winkel. Als Versegelung werden die Distanz und der Kurs über Grund eingetragen. Diese Werte müssen durch Kopplung bestimmt werden. Nach vollständiger Eingabe wird der Standort berechnet und ausgegeben. Ein Gissort, also ein geschätzter Standort wie es beim Höhenverfahren üblich ist, muss nicht angegeben werden. Nach der Eingabe von zwei Beobachtungen wird auch die Zeit des Schiffsmittags angezeigt, die Zeit des Meridiandurchgangs. Dabei ist es egal, ob diese Messungen beide am Vormittag oder am Nachmitag oder davor und danach durchgeführt werden.

Das Navigieren mit diesem Tool ist denkbar einfach. So sind neben einigen einmaligen Grundeinstellungen lediglich die Beobachtungsdaten Sextantenablesung und Beobachtungszeit anzugeben. Rechnen und Zeichnen muss dabei niemand und ein Nautisches Jahrbuch ist auch nicht nötig. Das kann jeder auch ohne einen Lehrgang in Astronavigation besucht zu haben. Einen Sextanten sollte man aber handhaben können. Wenn Versegelungen berücksichtigt werden, dann sollten eine halbe Stund vor oder nach dem Schiffsmittag keine Beobachtungen gemacht werden.

Zum Spielen mit der Datei oder zur individuellen Anpassung darf die Datei geändert werden. Zum Entsperren dient das Kennwort change. Danach können die ausgeblendeten Zellen wieder eingeblendet werden. Mit Excel sollte man sich dazu aber ein wenig auskennen. Im Zellenbereich K5 bis S18 erfolgt die Sextantenbeschickung, so dass man in den Eingaben nur den auf dem Sextanten abgelesenen Winkel eingeben muss.

In den Feldern U5 bis X25 werden die Peilrichtungen ermittelt. Sie sind jetzt komplexer als in einer Vorgängerversion und berücksichtigen die sphärische Erdoberfläche. Die Höhenanpassung nach Versegelungen erfolgt in den Feldern U26 bis X31. Schließlich werden mit Hilfe von zwei kleinen Tabellen von K22 bis P40 die Koordinaten des Bildpunktes der Sonne, also die Deklinationen und der Greenwichwinkel für die eingegebenen Beobachtungszeiten berechnet, wodurch ein nautisches Jahrbuch ersetzt wird.

Zur Berechnung der Standortbreite sind drei Tabellen von Z5 bis AM59 angelegt. Die erste Tabelle umfasst einen Breiten-Suchbereich, der sich von der Deklinationsbreite bis zur Summe von Deklination und kleinstem Horizontabstand erstreckt (φmax = smin + δ). Das entspricht der maximalen Erstreckung einer möglichen Standortbreite im Segelgebiet zwischen der aktuellen Deklination und dem Erdpol. Dieser Breitenbereich ist in 51 Tabellenzeilen gleichmäßig aufgeteilt. In der Spalte “diff” wird jetzt in jeder Zeile abgeprüft, ob die Zusammenfassung der in Zeit umgerechneten Stundenwinkel aus beiden Beobachtungen Mit der Zwischenzeit der Beobachtungen  gemäß der Gleichung 3  übereinstimmt. War die erste Beobachtung am Vormittag und die zweite am Nachmittag, dann werden beide Stundenwinkel addiert. Das ist der Fall, wenn im Feld V21 der Wert “WAHR” ausgegeben wird. Erfolgen beide Beobachtungen vormittags oder beide Beobachtungen Nachmittags, dann wir der Wert “FALSCH” ausgegeben und der Stundenwinkel der zweiten Beobachtung wird vom Stundenwinkel der ersten Beobachtung subtrahiert. Vormittags gibt die erste Beobachtung einen größeren Stundenwinkel ab, als die zweite Beobachtung, und somit ist das Ergebnis \tau_1 -\tau_2 > 0. Nachmittags gibt der Stundenwinkel der ersten Beobachtung einen kleineren Wert ab und somit ist \tau_1 -\tau_2 < 0. Weil von allen Zusammenfassungen immer der Betrag benutzt wird, erhalten wir im Endergebnis die positiven Ergebnisse im Vormittagsfall von \tau_1-\tau_2 und im Nachmittagsfall \tau_2-\tau_1. Diese werden durch 15°/h dividiert und zeilenweise mit der zwischen den Beobachtungen gemessenen Zeit verglichen. Wenn von einer Zeile zur nächsten ein Vorzeichenwechsel erfolgt, dann ist der Breitenbereich gefunden, in dem sich das Schiff befinden müsste. Dieser Bereich könnte allerdings durch Versegelung bereits wieder verlassen worden sein. Aus diesem Grund ist die zweite Tabelle nach oben und unten um eine Breite vergrößert, die aus der Versegelungsdistanz errechnet worden ist. 

Ein in dieser zweiten Tabelle gefundener Breitenbereich wird dann nochmal in 51 gleichgroße Breitenabschnitte unterteilt, die nun im unteren einstelligen Sekundenbereich liegen. Die darin gefundene Breite ist dann die gesuchte Standortbreite. Daraus kann nun die sog. Chronometerlänge berechnet werden, was den Standort liefert.  

Analytische Methoden wie die hier beschriebene  von Borda oder der Gauß-Algorithmus bringen zwar mit einem Computerprogramm bessere Ergebnisse als grafische Verfahren, wie das Zweihöhenverfahren von Saint Hilaire, doch ihre Anwendung setzt eine Programmiertätigkeit voraus. Nun sind die meisten aber keine Programmierer. Mit Excel steht jedoch eine Tabellenkalkulation zur Verfügung, die fast jeder auf seinem heimischen Computer besitzt und auch nicht schwerer zu handhaben ist wie ein programmierbarer Taschenrechner. Darauf erstellte Programme können dann auf dem Smartphone oder Tablet draußen auf dem Meer zur Navigation benutzt werden. Das vorstehende Borda Navigationsprogramm ist eine Möglichkeit. Leider ist damit nur eine aufwendige numerische Lösung möglich. Viel besser geeignet ist zu diesem Zweck der Gauß’sche Algorithmus. Der Programmaufbau dazu ist hier genau beschrieben.


Links:

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